House of Change

Emotionen in Veränderungsprozessen - Emotionsregulation

Marc Oliver

5/21/20248 min read

House of Change: Warum der Widerstand dein guter Freund sein kann

"Nicht das stärkste oder intelligenteste Wesen überlebt, sondern das anpassungsfähigste."
- frei nach Charles Darwin

Einleitung: Veränderung löst unweigerlich Emotionen aus

Erinnerst du dich noch an deinen ersten Tag vielleicht sogar im ersten Job? Vermutlich ist dein Morgen mit einer angenehmen Nervosität gestartet, voller Energie und vielleicht hast du dich sogar großartig gefühlt – voller Vorfreude auf die neue Herausforderung. Doch kaum betrittst du das neue Büro, schlägt die Unsicherheit und erste Überforderung zu:

  • Welche ungeschriebenen Gesetze gibt es hier?

  • Wo ist die Kaffeemaschine?

  • Wie heißen die Kollegen nochmal?

  • Welche sozialen Bande muss ich beachten?

  • Habe ich mich für den richtigen Weg entschieden?

In den ersten Tagen ist alles fremd und unbekannt. Du fühlst dich unsicher, hinterfragst deine Entscheidung und sehnst dich manchmal nach Klarheit oder vielleicht sogar deinen alten Arbeitsplatz zurück – selbst wenn du dort unglücklich warst. Ich erinnere mich noch an einen Job als Consultant bei dem ich mich die ganze erste Woche ständig in den Gebäuden verlaufen habe - ein Gefühl der Peinlichkeit. Doch mit der Zeit gewöhnst man sich an die neue Umgebung, findet den eigenen Rhythmus und plötzlich denkst du: Warum hatte ich anfangs eigentlich solche Zweifel?

Willkommen im House of Change, ein anschauliches Modell des Psychologen Claes F. Janssen, zur Orientierung in Veränderungsprozessen. Dieses Modell zeigt, wie Menschen – als Individuen, zusammen als Teams oder ganze Organisationen – auf Veränderungen reagieren. Es macht eines klar: Widerstand ist nicht das Problem. Er ist ein ganz normaler Teil des Prozesses. Wer das verinnerlicht, kann Wandel aktiv und erfolgreich gestalten.

TL;DR (Zusammenfassung)

Das House of Change Modell beschreibt vier Phasen, die Menschen während eines Veränderungsprozesses in Reihenfolge durchlaufen: Zufriedenheit, Ablehnung, Verwirrung und Erneuerung. Die Phasen lassen sich mit der bekannten Kübler-Ross Change-Kurve überein bringen und sind damit der gleichen Kritik ausgesetzt. In jeder der vier Phasen kommen bestimmte, primäre Emotionen vor. Widerstand ist dabei ein ganz natürlicher Teil des Transformationsprozesses und kann als Startpunkt für Wachstum genutzt werden. Führungskräfte und Coaches sollten diese Phasen erkennen und gezielt unterstützen, um erfolgreiche Transformationen zu ermöglichen. Es gibt verschiedene Darstellung mit einem optionalen Keller mit den vertiefenden Phasen Verzweiflung und Paralyse, die sich aus den darüberliegenden Räumen speisen aber aus meiner Sicht kaum bis gar keine Anwendung in modernen Veränderungsprozessen erfahren.

Bright living room with modern inventory
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House of Change: Die vier Zimmer der Veränderung

Der schwedische Psychologe Claes F. Janssen entwickelte das House of Change (dt. Haus der Veränderung), um die emotionalen Zustände der Betroffenen während Veränderungsprozessen zu veranschaulichen. Offenkundig inspiriert von Elisabeth Kübler-Ross' Trauerkurve beschreibt es vier Zimmer, die unterschiedliche Phasen der Veränderung repräsentieren sollen. Wie in meiner Wortwahl bereits raus zu lesen ist hier eine negativ empfundene Veränderung beschrieben worden, was die Menschen zu Betroffenen macht und leider nicht zu Beteiligten wie wir es in begleiteten Transformationsprozessen herstellen. Aus der Literatur stammen vier Räume (ohne Keller):

1. Zimmer der Zufriedenheit („Es lebe der Status Quo“)

Hier fühlen sich Menschen wohl. Alles läuft nach Plan, Routinen geben Sicherheit, und es besteht kein offensichtlicher oder drängender Bedarf für Veränderungen. Die Vorstellungen und Bedürfnisse der Menschen in diesem Raum sind gewahrt und ausreichend erfüllt.

  • Typische Reaktionen und Gedanken: „Warum sollten wir etwas ändern? Es funktioniert doch alles bestens.“, "Never change a running system.", "Wir haben doch nun wirklich andere Probleme, hier sehe ich kein Bedarf."

  • Gefahrenpotentiale: Ignoranz gegenüber äußeren Veränderungen kann dazu führen, dass man den Anschluss verliert. Innovationen sind nicht möglich. Disruptionen ist man ausgeliefert.

  • Emotionen: Kontrolle, Sicherheit, Bewahrung und im besten Fall Freude.

Ein einfaches, praktisches Beispiel: Ignoriert ein bislang erfolgreiches Unternehmen mittelfristig aufkommende Markttrends oder schleichende, demografische Veränderung, verliert es dadurch langfristig an Wettbewerbsfähigkeit, verzeichnet Wachstumseinbußen oder lässt zumindest Umsatzpotentiale ungenutzt.

2. Zimmer der Ablehnung („Das darf einfach nicht wahr sein“)

Die Veränderung steht vor der Tür und klopft an, wird aber nicht willkommen geheißen sondern soll bitte draußen bleiben. Menschen leugnen die Notwendigkeit der Transformation und klammern sich an das Bekannte anstelle sich überhaupt mit den Inhalten oder Folgen des Wandels zu beschäftigen. Unbekanntes droht negative Emotionen aufkommen zu lassen.

  • Typische Gedanken: „Das ist nur eine vorübergehende Phase. Bald ist alles wieder wie zuvor.“, "Das können wir einfach aussitzen.", "Die nächste Sau wird durch Dorf getrieben.", "Abwarten und Ruhe bewahren."

  • Gefahrenpotentiale: Durch die Stagnation in einer Verweigerungshaltung wird wertvolle Zeit verloren, die für proaktive Anpassungen genutzt werden könnte. Komplexe Situationen und Veränderungsziele müssen über längere Zeiträume kommuniziert und verstanden werden, wofür aber noch keine Akzeptanz bzw. Gehör gefunden werden kann. Der Zeitrahmen wird unweigerlich ausgedehnt und bedroht den "Projekterfolg".

  • Emotionen: Angst, Wut, Verweigerung und Widerstand.

Ein einfaches, praktisches Beispiel: Ein Team weigert sich, neue Technologien zu implementieren, da die alten Systeme „immer gut funktioniert haben“. Bereits in den Informationsveranstaltungen und den Schulungen sind verschränkte Arme durch die Bank zu beobachten. Die emotionalen und geistigen Wechselkosten z.B. etwas Neues zu erlernen, werden nicht mitgetragen. Die Schulungen werden zu keinem oder zumindest verminderten Wissenszuwachs führen und müssen ggf. mit Ressourcenaufwand wiederholt werden.

3. Zimmer der Verwirrung („Ist das ein Durcheinander“)

Die Realität und Unvermeidbarkeit der Veränderung setzen ein und mit ihr kommen weitere Unsicherheiten bis hin zu chaotischen Zuständen einher. Alte Strukturen brechen weg, bekannte Abläufe wirken nicht mehr und die Neuen sind noch nicht etabliert. Es entsteht Raum für Neues, was zu Experimenten einladen kann. Herausforderungen können überwältigend wirken und sollten Stück für Stück angegangen werden.

  • Typische Gedanken: „Wie sollen wir das nur bewältigen? Nichts scheint mehr Sinn zu ergeben.“, "An welcher Stelle soll das denn besser sein als zuvor?", "Wie isst man ein Mammut? Stück für Stück.", "Vielleicht könnten wir mal was ausprobieren."

  • Chancenpotentiale: In dieser Phase liegt ganz viel Potenzial für Kreativität und einen echten Neuanfang. Gestalten, beteiligen, ausprobieren und den Teamzusammenhalt stärken. Mut als einen möglichen Neuzugang im Wertekanon gewinnen. Ein Chaos aufzulösen stärkt die Resilienz und das Selbstbewusstsein.

  • Emotionen: Frustration, Zweifel und manchmal Traurigkeit

Ein einfaches, praktisches Beispiel: Nach der Einführung einer neuen Fachsoftware fühlen sich die Mitarbeitenden überfordert und orientierungslos, entdecken jedoch nach und nach effizientere Arbeitsweisen. Der kollegiale Austausch führt zu Erkenntnissen und Verbreitung von (hoffentlich gesichertem) Wissen.

4. Zimmer der Erneuerung („Ich habe etwas dazugelernt“)

Die Veränderung wird akzeptiert und integriert. Neue Prozesse funktionieren, Erlerntes kommt zur erfolgreichen Anwendung und es entsteht ein Gefühl des Fortschritts bzw. des Erfolgs.

  • Typische Gedanken: „Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?", "Endlich läuft alles.", "Das macht sogar Spaß und ist viel schneller als früher."

  • Erfolg: Die Organisation ist nun besser aufgestellt und hat aus dem Wandel gelernt.

  • Emotionen: Freude, Erleichterung aber auch Erschöpfung.

Ein einfaches, praktisches Beispiel: Die Anlaufschwierigkeiten liegen bereits hinter uns und der anfängliche Widerstand ist bei einer Mehrheit erfolgreich in Mitarbeit konvertiert worden. Die neuen, digitalen Prozesse in der Fachsoftware beinhalten Automatisierungen die Zeiten freischaufeln um in wichtige Mensch-zu-Mensch-Aufgaben wechseln zu können. Die neuen Arbeitsabläufe werden zum Standard und dem neuen Status Quo. Es kehrt vergleichsweise Ruhe ins Team ein.

Warum Widerstand der Schlüssel zur Veränderung ist

Widerstand gegen Veränderung und echte Transformation ist so natürlich wie die Atmung des Menschen. Unser Gehirn liebt Gewohnheiten, Rituale und Routinen, weil sie einfach Energie einsparen - so hat das die Evolution vorgesehen. Veränderung bedeutet dafür jedoch Unsicherheit – und Unsicherheit signalisiert potenzielle Gefahr auf die wir Menschen instinktiv reagieren. Deshalb reagieren manche Menschen mit Ablehnung oder sogar Angst, während andere eher Wut oder Trauer zeigen wenn sich ihre gewohnte Umgebung verändert.

Doch genau hier liegt die Chance: Widerstand zeigt, dass die Menschen die Veränderung wahrnehmen und sich mit der bevorstehenden Transformation auseinandersetzen. Die eigentliche Gefahr liegt nicht im Widerstand selbst, sondern in seiner Ignoranz.

1. Widerstand ist wie Muskelkater nach dem Training

Stell dir vor, du entscheidest dich, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. Die ersten Tage sind brutal – deine Muskeln brennen, und du fragst dich: Warum tue ich mir das an? Doch nach einer Weile wird es leichter. Dein Körper passt sich an, und plötzlich fühlst du dich stärker als zuvor.

Genauso ist es mit Veränderung. Widerstand ist wie Muskelkater: Ein Zeichen dafür, dass etwas wächst und sich entwickelt. Unternehmen, die Widerstand frühzeitig ernst nehmen, können ihn nutzen, um den Veränderungsprozess gezielt zu steuern.

2. Widerstand als Thermometer der Veränderung

Widerstand ist nicht das Problem – er ist ein Messinstrument. Er zeigt, wo Unsicherheiten liegen, welche Ängste bestehen und wo mehr Kommunikation nötig ist.

  • Keine Gegenwehr? Dann nehmen die Betroffenen die Veränderung nicht ernst oder sie wurde schlecht kommuniziert.

  • Leichter Widerstand? Die Menschen sind skeptisch, aber offen für Argumente.

  • Starker Widerstand? Hier ist es Zeit für echte Überzeugungsarbeit – oder eine Anpassung des Change-Prozesses.

Veränderung ohne Widerstand ist wie eine Diät ohne Hunger – wahrscheinlich machst du es nicht richtig.

3. Die Energie des Widerstands in Bewegung umwandeln

Anstatt Widerstand zu bekämpfen, sollten Führungskräfte und Coaches ihn kanalisieren. Veränderungsenergie kann entweder in Blockade oder in Fortschritt umgewandelt werden – das hängt von der Herangehensweise ab.

Drei Strategien, um Widerstand produktiv zu nutzen:
Aktives Zuhören: Widerstand ist oft nur ein Ausdruck von Unsicherheit. Wer sich gehört fühlt, lässt eher los.
Partizipation ermöglichen: Menschen akzeptieren Veränderungen besser, wenn sie mitgestalten dürfen.
Erfolge sichtbar machen: Schnelle kleine Siege nehmen die Angst vor dem Unbekannten.

4. Menschen wollen sich verändern – aber nicht verändert werden

Es gibt einen feinen, aber entscheidenden Unterschied:

  • „Du musst dich ändern!“ → Widerstand, Blockade, Angst.

  • „Ich möchte mich verändern!“ → Motivation, Energie, Fortschritt.

Die Aufgabe eines Change-Leaders oder Coaches ist es also nicht, Veränderung aufzuzwingen, sondern den Rahmen für selbstbestimmten Wandel zu schaffen.

Tipps für Transformationscoaches:
  • Widerstand anerkennen: Verstehen, dass Widerstand ein natürlicher Ausdruck von Sorgen und Ängsten ist.

  • Offene Kommunikation fördern: Raum für Fragen und Bedenken schaffen, Emotionen zulassen und behutsam rahmen.

  • Unterstützung anbieten: Schulungen, Coachings und Ressourcen bereitstellen, um den Übergang zu erleichtern.

  • Begleitung organisieren: Positive Prägung des Neuen, Haltung und Sichtbarkeit von Vorbildern ermöglichen, Beteiligte strategisch platzieren und Errungenschaften skalieren.

  • Impulse stiften: Inspiration und Hoffnung lebendig halten, erfolgreiche Beispiele heranziehen, Verständnis verbreiten.

Fazit: Widerstand ist keine Wand sondern ein Durchgang

Das House of Change zeigt, dass Transformation ein Prozess mit verschiedenen emotionalen Phasen ist. Indem wir jede Phase bewusst durchlaufen und unterstützen, können wir Veränderungen erfolgreich meistern. Außerdem ist Veränderung kein Sprint, sondern eine längere Reise auf der Veränderungsgegner nicht als „Problemfälle“ behandelt werden, sondern als Indikatoren betrachtet werden, wo der Transformationsprozess und dessen Begleitung noch genauer hingucken und strategisch nachbessern kann. Als Transformationscoach nehmen wir Widerstand immer erstmal an und lenken diesen systemintelligent. So kann aus der Unsicherheit eine treibende, kreative Kraft werden – und aus Skeptikern echte Mitgestaltung entspringen. Mut zum Ausprobieren und Experimentieren, Probezeiträume und Emotionsregulation scheinen dabei wesentliche Faktoren für den Erfolg zu sein.

Abschlussfragen:

In welchem Zimmer des House of Change befindest du dich gerade?

Welcher Widerstand in deinem Umfeld könnte ein ungenutztes Potenzial für Veränderung sein?

In welchem Zimmer des House of Change befindest du dich gerade?

Quellen & weiterführende Links